Die Biedermeier AGIKEA® als globale Sehnsuchtskonstruktion

Foto­ar­beit und Intervention ///
Okto­ber 2007 ///

Schon wie­der Glo­ba­li­sie­rungs­kri­tik – nein. Zwar ist IKEA® ein mul­ti­na­tio­na­ler, welt­weit agie­ren­der Groß­kon­zern, der ohne wei­te­res mit Mar­ken wie McDo­nalds oder Coca Cola in einer Rei­he genannt wer­den darf und mit den sel­ben, medi­en­mä­ßig trans­por­tier­ten Pro­ble­men wie Kin­der­ar­beit und Bil­lig­lohn­pro­duk­ti­ons­stät­ten zu kämp­fen hat. Jedoch ver­än­dert IKEA® – auf sehr ein­dring­li­che Wei­se – in den letz­ten Jah­ren mas­siv sei­ne Werbestrategie.

Anzei­gen­schal­tun­gen in allen wich­ti­gen Medi­en und an öffent­li­chen Plät­zen schei­nen auch ansons­ten kri­ti­schen Medi­en die Hän­de zu bin­den, wäh­rend die Käu­fer­schaft sich längst fragt, wo die flie­gen­den Weih­nachts­bäu­me geblie­ben sind.

Der sym­pa­thi­sche Elch wur­de Mit­te der 1990er-Jah­re gegen den tech­nik­ver­mit­teln­den Inbus-Schlüs­sel getauscht. Zug um Zug wur­de die auf alter­na­ti­ves Publi­kum aus­ge­rich­te­te Unter­neh­mens­kom­mu­ni­ka­ti­on ver­lieb­licht und einem eher dem kon­ser­va­ti­vem Welt­bild ange­lehn­ten Stil ange­passt. IKEA® – der stu­den­ti­sche Gene­ral­aus­stat­ter ist nicht mehr prak­tisch und leist­bar, kum­pel­haft und hemds­ärm­lig, son­dern fühlt sich als Hard­ware­pro­vi­der für die hei­le Fami­lie. Das Heim, die Fami­lie, glück­li­che Wochen­en­den zuhau­se – ver­mit­telt durch Wer­be­spots in Hea­vy Rota­ti­on. Wohn­uni­form – glo­bal und nahe am Zeit­geist. IKEA® gene­riert für sei­ne welt­wei­te Käu­fer­schar eine – in Anleh­nung an Johann Peter Ecker­mann – „rei­ne Wirk­lich­keit im Lich­te mil­der Verklärung“.

Der Kata­log mit Rekord­auf­la­ge gene­riert eine idyl­li­sche, clea­ne, schein­bar authen­ti­sche Rea­li­tät – pro­du­ziert im größ­ten Foto­stu­dio Euro­pas. Wer­be­slo­gans ver­spre­chen indi­vi­du­el­les Woh­nen – gelie­fert von der welt­weit größ­ten Haus­halts­mö­bel­mar­ke. Was theo­re­tisch nur ein Witz sein kann, funk­tio­niert prak­tisch her­vor­ra­gend. Gera­de die Wer­be­stra­te­gie hat IKEA® zu jener Markt­po­si­ti­on ver­hol­fen die sie heu­te inne hat. Durch die­se Stra­te­gie und einer Auf­la­ge des Kata­logs, die der Bibel und Har­ry Pot­ter in Zah­len Kon­kur­renz macht, pro­du­ziert die IKEA®-Werbelinie mehr als nur Mar­ke­ting für eine Fir­ma. Einem welt­wei­ten Publi­kum wird, dem poli­ti­schen Trend fol­gend, nicht nur eine Aus­wahl an Pro­duk­ten, son­dern ein gan­zes Lebens­kon­zept ver­mit­telt, das den Rück­zug ins Pri­va­te und das Ide­al­kon­zept der hei­len Fami­lie beschwört. Die sub­li­mi­na­len Bild­bot­schaf­ten in Inse­ra­ten und Fern­seh­spots, die empha­ti­sche Tex­tie­rung, ver­mit­teln unwei­ger­lich einen neu­en Auf­bruch in Rich­tung Rück­zug ins Heim – Hom­ing at it’s best.

Life is outside.

Die Foto­ar­beit wur­de mit freund­li­cher Unter­stüt­zung der Arge für Obdach­lo­se realisiert.

(Fotos: qujOchÖ)