Saunaordnung
Roland Bindreiter (AT) ///
Manfred Engelmayr (AT) ///
Reto Mäder (CH) ///
Wolfram Reiter (AT) ///
A.S.A.P. (AT) ///
Urs Jaeggi (CH/DE) ///
So, 17. November 2002, 19:00 Uhr ///
Parkbadsauna Linz ///
mit Unterstützung von dm drogeriemarkt
Hitze, Kälte, Chaos, Ordnung. Ein experimenteller Saunaabend in schwitzendem Lärm.
„Die Saunagäste haben alles zu unterlassen, was der Aufrechterhaltung der Sicherheit, Ruhe und Ordnung sowie den guten Sitten zuwiderläuft.“ (§ 8, Abs. 1, „Verhalten in der Sauna“, Auszug aus dem Böblinger Stadtrecht, zuletzt geändert am 27. Juni 2001)
Saunen sind geordnete Mikrokosmen, kleine Ordnungsmaschinen. In den finnischen Schwitzbädern wird nicht nur geschwitzt, sondern sich auch Ordnung einverleibt, besser: einem strukturierten, ausdifferenzierten, verwobenem Regelgefüge Folge geleistet, dessen Befolgung nicht nur die unreflektierte Unterordnung unter den geordneten Mikrokosmos Sauna bedeutet, sondern auch unter eine sozial normierte Norm von Ordnung allgemein. Die Beachtung einer peniblen und bei Verstoß sanktionierten Sauberkeit, die Exklusion von Geisteskranken und EpileptikerInnen vom Saunabesuch, das Verbot der Störung der Saunagäste im Ruheraum oder die Untersagung von Lärmen und Singen in der Sauna – scheinbare Selbstverständlichkeiten, die natürlich nicht natürlich selbstverständlich sind, sondern einer bestimmten, durchgesetzten Form und Auffassung von Ordnung entsprechen.
Folgsame Ordnung mit und/oder gegen nacktes Chaos? Sicherheit als Notwendigkeit für allgemeines Wohlbefinden mit und/oder gegen zwanglose Freiheit? Gute Sitten, schlechte Sitten? „Nicht gestattet ist u. a.: […] c) Ausspucken auf den Boden oder in das Saunawasser“ (§ 8, Abs. 2, „Verhalten in der Sauna“, Auszug aus dem Böblinger Stadtrecht, zuletzt geändert am 27. Juni 2001) oder „Nicht gestattet ist u. a.: […] f) Gespräche über politische Themen in den Saunaeinrichtungen“ (§ 8, Abs. 2, „Verhalten in der Sauna“, Auszug aus dem Böblinger Stadtrecht, zuletzt geändert am 27. Juni 2001)? Welches dieser beiden Verbote ist wohl Teil der Böblinger Saunaordnung? Erscheinen beide annehmbar oder nicht doch eher beide absurd? Welches dieser Verbote entfaltet seine Wirkung tatsächlich und ordnet somit den Rahmen des Machbaren/Nicht-Machbaren? Welche diskursiven Kräfte sind für die Konstruktion und Konstitution dieser Regel(n) verantwortlich?
Das Kunst- und Kulturkollektiv „qujOchÖ. multiples Plateau für Kunst und Kultur“ versucht mit SAUNAORDNUNG die Grenzen zwischen Ordnung, Sicherheit, Chaos, Lärm, Ruhe, Freiheit, Hitze, Sauberkeit, Freizeit und Kälte zu verwischen. Urs Jaeggi, Schweizer Philosoph, Soziologe, Literat, Maler und Bildhauer, kombiniert Teile seines im Alexander Verlag Berlin erschienenen Buches „Kunst“: „Mit Lärm fängt es an und es bleibt lärmig. Er ist unsere erste Verbindung nach draußen. Er führt uns ins Chaotische, Sinnliche, zeigt uns die nicht bewältigbare Vielfalt der Dinge und zwingt uns zur Ordnung, zwingt uns ins Dazwischen. Der Lärm ist zerstörerisch und schreckenserregend, aber er ist notwendig, weil Ordnung und flache Wiederholung Nachbarn des Todes sind. Lärm, lässt man sich darauf ein, führt zur Stille.“ (Jaeggi, Urs, Kunst, Alexander Verlag Berlin, Berlin 2002, S. 8 f.) mit Teilen seiner früheren philosophischen und soziologischen Abhandlungen: „Entspricht die ‚totale Geschichte‘ nicht dem Chaos? Ist die von uns ‚gefundene‘ Ordnung nicht zufällig? Wer sagt uns, dass die Ordnung, die wir in Ereignisse hineinlesen, einer tatsächlichen Ordnung entspricht?“ (Jaeggi, Urs, Ordnung und Chaos. Strukturalismus als Methode und Mode, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1968).
Verbunden mit dem zweiten Teil des Vortrags von Urs Jaeggi liefern Bindreiter/Engelmayr/Mäder/Reiter (u. a. tätig als und in moussi bucy, bulbul, Roland von der Aist, rm74, Neun Volt, Head of Yagan, OHNE, backlab) mit dem Video-Kollektiv A.S.A.P. ein audio-visuelles Abenteuer im Rahmen der qujOchÖ-Reihe „q_#. experimentelle Fluchtlinie“ ab.
Die Saunierenden haben derweilen zwischen fraktalem Flimmern und kristallinem Lärmrauschen in den Saunen hockend zu schwitzen. Aber Vorsicht! „[…] Jede Verunreinigung der Bänke durch Schweiß ist zu vermeiden. […]“ (§ 11, Abs. 1, „Verhalten im Saunaraum“, Auszug aus dem Böblinger Stadtrecht, zuletzt geändert am 27. Juni 2001)
Ein 90°C‑Experiment zum Ordnen schwitzender Körper und Gedanken.
www.backlab.at/rvda
www.trost.at/bulbul
www.domizil.ch
www.sra.at
www.universes-in-universe.de/jaeggi/start.htm
(Kamera/Schnitt: qujOchÖ)
(Kamera/Schnitt: qujOchÖ)